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Die Crux mit den Probetexten

By Dagmar Jenner | Published  04/30/2007 | Business Issues | Recommendation:RateSecARateSecARateSecARateSecARateSecI
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Quicklink: http://esl.proz.com/doc/1222
Bekommt man bei der Zahnärztin eine Probebohrung? Beim Frisör einen Probe-Haarschnitt? Gibt es im Wirtshaus ein Probeschnitzel, um die Kochkünste des Hauses zu testen? Bei der Steuerberaterin einen Probe-Einspruch gegen einen Steuerbescheid?
Was bei anderen Berufsgruppen schlicht unvorstellbar ist und die Grenzen der guten Sitten sowie der allgemeingültigen Umgangsformen sprengen würde, ist bei uns ÜbersetzerInnen leider gang und gäbe.
Man mag hier einwenden, dass sich unsere komplexe sprachliche Dienstleistung auf einer anderen – was nicht heißt: besseren – Ebene bewegt als das Panieren, Frittieren und Servieren eines Schnitzels. Aber ich denke, das Prinzip ist das gleiche. Betritt man zum ersten Mal ein Restaurant, hat man keinerlei Erfahrungswerte mit den dort angebotenen Speisen. Dennoch würde niemand auf die Idee kommen, eine kostenlose Kostprobe der Kochkünste des Hauses zu verlangen – um dann eventuell bei geschmacklicher Unzufriedenheit ohne Bezahlung von dannen zu ziehen.
Der Grund für dieses Paradoxon liegt wohl zum Teil in der Unmittelbarkeit, in der Anwesenheit vor Ort. Per Telefon und ganz besonders per E-Mail – also die Kommunikationsarten, die in unserem Berufsstand am häufigsten zum Einsatz kommen – scheinen solche Skrupel ganz und gar verschwunden zu sein.
Dennoch: Im Umgang mit vergleichbar hoch qualifizierten DienstleisterInnen, also beispielsweise RechtsanwältInnen oder SteuerberaterInnen – mit denen die erste Kontaktaufnahme auch zumeist schriftlich oder telefonisch erfolgt –, verbietet sich das Einfordern einer „Probearbeit“ anscheinend von selbst. Die Chuzpe, die auch Menschen, die zum ersten Mal mit unserer Berufsgruppe zu tun haben, an den Tag legen, verblüfft mich jedes Mal aufs Neue. Ich kann es mir nur durch das mangelnde Prestige unseres Berufsstandes erklären. Ebendieses schlechte Image mag vielfältige Gründe haben, die in der Translationswissenschaft immer wieder thematisiert werden.
Dabei müssen wir uns, so unangenehm das sein mag, auch selbst in die Pflicht nehmen. Mir scheint, dass wir, auch wenn genauso gut ausgebildet wie Profis auf anderen Gebieten, oft mangelndes Selbstbewusstsein an den Tag legen, nach dem Motto „Ich bin ja ‚nur’ die Übersetzerin.“ Das Gegenteil ist wahr: Unsere Arbeit ist ein essentieller Bestandteil interkultureller Kommunikation. Diese Relevanz unserer Arbeit sollten wir auch in unserer Kommunikation mit potentiellen KundInnen transportieren. Mangelndes Bewusstsein der Wichtigkeit der eigenen Arbeit äußert sich in meinen Augen unter anderem in der Bereitschaft, sich auf enormen Preisdruck einzulassen und in häufigen Skrupeln, auf anständige Zahlungsfristen zu bestehen und auch durchzusetzen – worin wir uns z.B. ganz klar von professionellen Handwerksbetrieben unterscheiden. Die Wartung meiner Therme kostete EUR 52, zum nicht verhandelbaren Fixpreis, bar und sofort zu bezahlen. Wenn wir nur so weit wären!
Es liegt natürlich an uns, uns gegen den anscheinend angeborenen mangelnden Respekt der KundInnen uns gegenüber zu wehren.
Was die Probetexte betrifft, so stellt sich sehr häufig die Frage: soll ich – oder soll ich nicht?
Nach zahlreichen Probetexten, für die mir oft sehr umfangreiche Projekte in Aussicht gestellt wurden, kann ich die folgende ernüchternde Bilanz ziehen: In keinem einzigen Fall war ich damit erfolgreich. Über die Gründe kann natürlich nur spekuliert werden. Ohne Beweise dafür zu haben, hege ich den Verdacht, dass da und dort große Projekte zu hunderten „Probetexten“ filetiert werden, um danach zu einer hervorragend homogenen und obendrein kostenlosen Übersetzung zusammengefügt zu werden.
Mittlerweile habe ich für mich selbst folgende Vorgangsweise in Sachen Probetexte zurechtgelegt, die ich hier gerne zur Diskussion stelle:

1) Die Anfertigung von Probetexten lehne ich prinzipiell höflich, aber bestimmt ab. In der Regel mit dem Hinweis, dass ich sehr gerne einen ersten Text eines Projekts übersetze – allerdings natürlich zu meinen üblichen Konditionen.

2) Im gleichen Atemzug biete ich den potentiellen KundInnen an, Einsicht in Übersetzungen zu nehmen, die ich in der Vergangenheit angefertigt habe – und rechtfertige dieses Zugeständnis an die Forderung des Gegenübers für mich selbst mit der vergleichbaren Situation von WebdesignerInnen und GrafikerInnen, die auch stets ihre Mappen mit bisherigen Arbeiten vorweisen (müssen).
Zu diesem Zweck bietet es sich an, ein Word-Dokument mit einigen besonders gut gelungenen Übersetzungen inklusive Ausgangstext aus unterschiedlichen Themenbereichen zusammenzustellen. Ein bisschen nette Formatierung dazu, abspeichern als PDF-Dokument, fertig. Ein paar Stunden Arbeit, die aber als sofortiges Gegenargument beim nächsten Probetext-Dilemma Goldes wert sein können. Einen ersten Etappensieg konnte ich mit dieser Vorgangsweise schon verzeichnen.


Letztlich ist diese Vorgangsweise natürlich auch eine Frage der finanziellen Situation. Will die Miete bei sehr tristem Kontostand dringend beglichen werden und scheint das Zustandekommen eines Auftrags von einem kostenlos zu liefernden Probetext abzuhängen, so können die oben stehenden Grundsätze natürlich leicht ins Wanken geraten. Hier lohnt es sich meiner Erfahrung nach, sich ein wenig im Bluffen zu üben. Anflüge von Verzweiflung und echter Notwendigkeit scheinen KundInnen auf unsichtbaren Kanälen ganz genau zu spüren. Umgekehrt gilt: Ein stolzes Selbstbewusstsein schafft Eindruck und „kommt an“.



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